Rechtsanwaltskanzlei
Matthias Teichner
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Tätigkeitsschwerpunkt: Arzthaftungsrecht und Medizinrecht
 
 
Beweislast
 
 

Der Beweislast, besser: der Frage der Beweislastverteilung, kommt im Zivilprozess große, nicht selten (prozess-) entscheidende Bedeutung zu. Vereinfacht ausgedrückt kann man vielleicht sagen, bei Gericht kommt es nicht auf die Wahrheit, sondern auf die Beweisbarkeit einer Tatsachenbehauptung an. Ein Beispiel aus dem täglichen Leben mag die Problematik verdeutlichen. Wenn A seinem Bekannten B für einen Zeitraum von 6 Monaten ein Darlehen über Euro 100 gewährt und B sich anlässlich der Rückforderung des Betrages plötzlich "an nichts mehr erinnern kann", dann hat A in einem möglichen Zivilprozess nur für den Fall eine Chance, ein entsprechendes Zahlungsurteil gegen B zu erwirken, wenn er die Geldübergabe und die dabei getroffene Vereinbarung beweisen kann. Das Gesetz (Zivilprozessordnung - ZPO) sieht abschließend 5 Beweismittel vor, von denen einige allgemein bekannt sind: dies sind der Sachverständigenbeweis, die Augenscheinnahme, die sog. Parteivernehmung (Vernehmung des Gegners), der Urkundenbeweis und schließlich die Zeugenvernehmung. Steht in meinem Beispielsfall dem A keines dieser 5 Beweismittel zur Verfügung (z.B. Zeuge oder Urkunde), dann müsste man ihm spätestens anlässlich einer etwaigen Klageerhebung davon abraten, den Anspruch weiter zu verfolgen. A müsste nämlich mit einer Klageabweisung rechnen, weil er höchstwahrscheinlich beweisfällig bleiben würde; er müsste nicht nur das Darlehen abschreiben, sondern auch noch zusätzlich sämtliche Kosten des Gerichtsverfahrens tragen, wozu dann auch die Kosten des gegnerischen Rechtsanwaltes gehören.

Deshalb kommt der Frage, wer für welche Behauptung im Zivilrecht die Beweislast trägt, große Bedeutung zu. Dies gilt natürlich auch, man kann sogar sagen erst recht im Arzthaftungsprozess. In den meisten Fällen haben wir es mit drei Vorwürfen zu tun, die der Patient gegenüber seinem ehemaligen Arzt erhebt, wobei nicht selten die Vorwürfe miteinander kombiniert werden. Es handelt sich bei diesen 3 Vorhaltungen um

  • die Behandlungsfehlerrüge
  • die Indikationsrüge
  • die Aufklärungsrüge.

Hinsichtlich der Behandlungsfehlerrüge (früher: Kunstfehler) und der Indikationsrüge (also dem Vorwurf, dass ein bestimmter Eingriff nicht erforderlich war) trägt die Patientenseite grundsätzlich die volle Beweislast. Als klassisches Beweismittel bezüglich dieser beiden Vorwürfe kommt das ärztliche Sachverständigengutachten in Betracht. Hier steht man vor dem allgemein bekannten Problem, dass man nicht immer die Gewähr dafür hat, dass das vom Gericht in Auftrag gegebene Gutachten von Seiten des Sachverständigen wirklich neutral und frei von jeglichem bewussten oder unbewussten (!) Kollegenschutz abgefasst wird (sog. Krähentheorie). Dabei kommt erschwerend hinzu, dass der Sachverständige im Falle der Behandlungsfehlerrüge nicht nur den Fehler, sondern auch dessen Ursächlichkeit für die Gesundheitsschädigung bejahen muss. Nicht selten liegen aber gerade bei der Frage der Ursächlichkeit die prozessentscheidenden Beweisprobleme. Ein Beispiel aus der Praxis mag dies verdeutlichen: Immer wieder werden Krebserkrankungen zu spät erkannt; ein Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Frauenheilkunde bei Erkrankungen an Brustkrebs. Sachverständige gelangen in derlei Fällen nicht selten zu dem Ergebnis, dass der verantwortliche Arzt im Zusammenhang mit der Diagnose tatsächlich nicht mit der "erforderlichen Sorgfalt" bzw. nicht unter Beachtung des maßgeblichen "Standards" behandelt hat; insoweit wird also in einem solchen Fall nicht selten ein Behandlungsfehler vom Sachverständigen festgestellt. Indes kann die Frage danach, inwieweit und in welchem Maße sich der festgestellte Fehler (negativ) auf den weiteren Verlauf ausgewirkt hat, in solchen Fällen in der Regel nicht eindeutig beantwortet werden. Dieses Risiko der Nichtaufklärbarkeit trägt grundsätzlich der geschädigte Patient, denn es muss, wie bereits dargelegt, nicht nur den Fehler sondern auch dessen Schadenursächlichkeit beweisen. Nur dann, wenn in einem solchen Fall der Fehler vom Gericht - aufgrund entsprechender Ausführungen des Sachverständigen - als grob bzw. schwer bewertet wird, wird die Beweislast ausnahmsweise von der Patienten- auf die Behandlerseite abgewälzt (Beweislastumkehr). Dies bedeutet dann, dass bis zum (eher theoretischen) Beweis des Gegenteils durch den jetzt beweisbelasteten Arzt der Ursachenzusammenhang zwischen dem festgestellten groben Fehler und dem eingetretenen Körper- bzw. Gesundheitsschaden unterstellt wird. Ist also - um wieder bei meinem Beispiel zu bleiben - eine Brustkrebserkrankung aufgrund eines groben Fehlers um 1 Jahr zu spät erkannt und dementsprechend mit derselben Verzögerung verspätet behandelt werden, so kann als fehlerbedingter Schaden beispielsweise angenommen und unterstellt werden, dass bei einer richtigen und rechtzeitigen Behandlung die Brust noch zu erhalten gewesen wäre, während dessen sie im konkreten Fall entfernt werden musste, oder aber es hätte beispielsweise auf die Chemotherapie und / oder Bestrahlung mit all ihren Belastungen verzichtet werden können.

Diese Darstellungen verdeutlichen gleichzeitig, dass das Arzthaftungsrecht recht kompliziert ist, weshalb es sinnvoll sein dürfte, mit einem solchen Fall nur einen Rechtsanwalt zu beauftragen, der sich mit dieser Spezialmaterie auskennt. Das Arzthaftungsrecht sollte m. E. zum Tätigkeitsschwerpunkt des beauftragten Rechtsanwaltes gehören.

Auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf, der Arzt habe eine nicht notwendige Operation durchgeführt und sich deshalb schadensersatzpflichtig gemacht (Indikationsrüge), trägt die Patientenseite grundsätzlich die Beweislast. Der Beweis wird auch in einem solchen Fall mittels Sachverständigengutachten erbracht, es sei denn, dass dies überflüssig ist, weil insoweit ein offensichtlicher Schadenfall vorliegt (z.B. bei Seiten- oder gar bei einer Patientenverwechslung!).

Die Beweislast ist also wirklich eine Last, die es zu (er-) tragen gilt, wenn man Opfer einer ärztlichen Falschbehandlung ist und den Versuch unternimmt, dies außergerichtlich oder womöglich in einem Gerichtsverfahren vor einem Zivilgericht nachzuweisen und Schadensersatzansprüche und / oder die Zahlung eines "angemessenen" Schmerzensgeldes gegen einen verantwortlichen Arzt oder dessen Krankenhausträger durchzusetzen.

Aber auch die Ärzteseite kann in einem Haftungsprozess beweisbelastet sein; dies - so der Bundesgerichtshof - aus Gründen der "Waffengleichheit". Sie ist es grundsätzlich dann, wenn der Patient die Aufklärungsrüge erhebt, also behauptet, über ein bestimmtes Risiko, das sich verwirklicht hat, vor der Operation nicht aufgeklärt worden zu sein. In einem solchen Fall muss die Behandlerseite den Nachweis darüber erbringen, dass der Patient (auch) über das betreffende Risiko rechtzeitig (!) aufgeklärt wurde. Um diesen Nachweis im Streitfall erbringen zu können, wird dem Patienten in der Regel vor dem Eingriff ein Einwilligungsformular zur Unterschrift vorgelegt. Eine solche vom Patienten unterzeichnete Erklärung reicht aber als Beweis nicht aus! Sie begründet lediglich die Vermutung, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat und dass die in der Erklärung aufgeführten Risiken mit dem Patienten besprochen wurden, bevor dieser sodann (auch) mit seiner Unterschrift sein Einverständnis in den geplanten Eingriff erteilt hat. Der sog. Vollbeweis wird mit dieser Erklärung indes nicht erbracht, denn bewiesen werden muss nicht die Tatsache, dass der Patient ein bestimmtes Formular gelesen und unterschrieben hat, sondern dass mit ihm ein ausführliches Aufklärungsgespräch geführt wurde. Dies kann also selbst dann im Streit sein, wenn unstreitig ein vom Patienten unterschriebene Einwilligungserklärung existiert. Wird nämlich zum Beispiel ein Aufklärungsgespräch - außer im Notfall - zu spät oder beispielsweise von einem dafür nicht ausreichend qualifizierten Arzt (Arzt ohne Facharztreife) geführt, so kann dies dazu führen, dass die erfolgte Aufklärung vom Gericht als unzureichend und damit rechtlich unwirksam bewertet wird. Der Eingriff stellt sich dadurch im nachhinein als eigenmächtig und damit als (auch strafbare!) Körperverletzung dar, der Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Patienten auslöst.

Aus diesen Gründen, nämlich aus Gründen der Verteilung der Beweislast im Arzthaftungsprozess, fürchtet die Ärzteschaft den Vorwurf der unzureichenden Aufklärung mehr als den der fehlerhaften oder den der nicht erforderlichen und deshalb falschen Behandlung. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass sich die Ärzte bei Aufklärungsfragen mit einer fachfremden Materie auseinandersetzen müssen. Regelmäßig veröffentlichte Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, die von Fall zu Fall in der Ärzteschaft bzw. in den betroffenem Fachgebiet anscheinend neue Aufklärungsmaßstäbe setzen, schüren die latente Angst, der Aufklärungspflicht im Einzelfall nicht zu genügen. Dabei sind diese Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofes in der Regel keine endgültigen Entscheidungen im jeweiligen Einzelfall, sondern es wird zumeist nur die Entscheidung eines Oberlandesgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit wird zur weiteren Beweisaufnahme und zur endgültigen Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück gewiesen. Der Aufhebungs- und Zurückverweisungsgrund ist dann in einem solchen Fall zwar der, dass der Bundesgerichtshof im Gegensatz zum Oberlandesgericht eine bestimmte Verletzung der Aufklärungspflicht bejaht. Damit ist aber noch nichts endgültiges darüber gesagt, ob die unzureichende Aufklärung auch zur Folge hat, dass der in Anspruch genommene Arzt antragsgemäß verurteilt wird; denn eine unzureichende Aufklärung führt nur dann zur Haftung, wenn der geschädigte Kläger dem Gericht gegenüber plausibel darlegen kann, dass er bei einer richtigen und vollständigen Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte, weil er aus bestimmten Gründen in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Hier gerät der Kläger immer dann in Argumentationsschwierigkeiten, wenn der Eingriff dringend erforderlich, womöglich lebensnotwendig war.

Deshalb ist der Arzt, der bei einem Patienten einen derartigen Eingriff vornimmt, haftungsrechtlich auch hinsichtlich der Frage der Aufklärung auf der relativ sicheren Seite. Mit anderen Worten und aus Ärztesicht gesehen: die Indikation (Notwendigkeit) muss stimmen. Dies sollte die entscheidende Überlegung auf Ärzteseite als Konsequenz des Dargestellten sein. Hiervon profitiert selbstverständlich auch die Patientenseite, denn diese hat zwei wesentliche Interessen: sie will, dass wirklich nur notwendige Eingriffe durchgeführt werden und dabei soll sich der Arzt größte Mühe geben und den aktuellen Behandlungsstandard beachten und einhalten.

 
 
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